Tübinger Israeltrilogie Helmut Zwanger Gedichte 1980 -2012 |
Ölbaum online Nr. 63 vom 27.09.2012 - www.agwege.de
Jahre lang war er mein Kollege in der Nachbargemeinde, zuletzt auch Konfirmator meines Sohnes: Pfarrer Dr. Helmut Zwanger - ein Dichter. Im „Ölbaum online Nr. 31“ besprach ich seine Hommage an Albrecht Goes. Jetzt legt er seine Israelgedichte als Trilogie vor, ein erstaunliches Werk, wie Karl-Josef Kuschel in seiner Einführung schreibt: „Wir haben in Theologie und Literatur nicht viele … Doppelbegabungen vom Format eines HelmutZwanger.
Grenzgänger zwischen Poesie und Pastoral wie er sind höchst selten. Höchst selten auch die Verbindung von Israelleidenschaft und Sprachsensibilität. Deren Quelle ist nicht Mode oder Manier, deren tiefste Quelle ist Gottesleidenschaft.“
Weil dies so ist, liegt da nicht einfach ein Gedichtband vor mir, sondern eine Kostbarkeit: ein höchst verdichtetes Leben der Israelvergegenwärtigung; immer wieder das Urwort der Bibel ins heutige Wort übersetzend; ein Reichtum anBeobachtungen, Assoziationen, Erinnerungen und scharfsinnigen Schlüsse; in kürzeste Sprache gefasste Rechenschaft von der Last ein Deutscher Jahrgang 1942 zu sein, der überlebt hat; oft nur ein pointierter Satz, doch ein Genuss, der einem laut gelesen bisweilen im Hals stecken zu bleiben droht, z. B. in
„Heimatlieder“: „… / Im schönsten Wiesengrunde / Birkenau“. Der Dichter erzählt in seiner Einführung, wie 1949 der Vater nach Hause kommt. In Zwangers Kindheit ist „Gewalt in Schule und Elternhaus über ein Jahrzehnt lang normal“. Ist mit dem nicht näher bezeichneten „er“ der Vater gemeint, wenn der Sohn beim Betrachten von Fotos der „Vernichtungsarchive“ die Gesichter der Abgebildeten mit dem Finger absucht: „er könnte / dabei / gewesen sein“? In der deutschen Literatur sucht er nach Geistesverwandten, findet sie in Goes, Buber, Lasker-Schüler, Sachs, Celan, während andere ihm fremd bleiben: „B. B. // Lakonisch / gingst du / mit Laotse // mit den Juden / nicht“. Er erzählt von der Last eines Theologiestudiums in den 1960er Jahren, von seinen Lehrern „vielfach und
blindlings an wissenschaftliche Autoritäten gewiesen, die im Dritten Reich glühende Antisemiten waren“. Den Studenten vermittelt wird ein arisierter „Jesus von Nazareth // … / von deinen / Geschwistern / abgeschnitten“. Er entdeckt dennoch das Judentum und taucht bei einem Kontaktstudiensemester in Jerusalem tief in jüdisches Leben und Denken ein, wobei ihm Schalom Ben-Chorin zum wichtigen Lehrer wird. Er bereist das Land Israel, beklagt dessen Zerrissenheit, setzt sich mit der Geschichte und Gegenwart der Orte auseinander, die er besucht, und setzt seinen Glauben hinzu. Im Gedicht „Olam“ (Welt) sieht er, der Christ, in Jerusalem „ha olam ha ba“, die kommende Welt, gegenwärtig: „Zwischen Anfang und Ende / das Fenster der Auferstehung // Blick aufs irdische
Jerusalem / und die Welt / die kommt“. Helmut Zwangers Tübinger Israeltrilogie schlägt die notwendige Brücke von der intellektuellen zur emotionalen Ebene des Verhältnisses von Christen und Juden. Sie verdichtet die Themen des Dialogs in den vergangenen fünf Jahrzehnten zu sprachlich ausgefeilten Gedanken. Darum verlockt sie dazu zu blättern, sich festzulesen, Texte zu ergründen, Gelesenes zu meditieren, eigene Erinnerungen zu vergegenwärtigen, Theologie neu zu
überdenken, besuchte Orte in Israel oder auch Andalusien mit seinem Blick und seinen Gedanken zu sehen, an seiner Israelleidenschaft und seiner Gabe zu formulieren sich zu erfreuen, zu erfrischen, zu ermutigen, zu erbauen, wie am Gedicht „Reformation“: „Noch einmal / den Anfang / wagen // in heutiger / Zeit“.
Die „Tübinger Israeltrilogie“ ist Helmut Zwangers Dank an den christlich-jüdischen Dialog, ein wunderschönes Geschenk an alle, die in diesem Dialog und für ihn leben und arbeiten.
Pfarrer Dr. Michael Volkmann (Arbeitsgruppe „Wege zum Verständnis des Judentums")
|