Rezensionen ZeitZeichen

noch bevor die Sonne aufgeht, oder wenn der Himmel aufklaert, kann man den Horizont vom Himmel unterscheiden. In zweiter Hinsicht ist es aber ein Gedicht über das Programm der Aufklaerung, in dem Himmlisches und Irdisches ins rechte Verhaeltnis gesetzt wird. Aufklaerung ist hier kein antireligioeses Programm, sondern die richtige Unterscheidung von Gott und Welt, von Vernunft und Glauben, von menschlichen Projekten und Programmen und religiöser Hoffnung. Und eine so verstandene Aufklaerung bildet das Grundmuster seiner Gedichte. Entsprechend heißt es über die "Moderne": Das Zaehlbare zählen/Messbares messen/Quantifizieren/was ist.//Aber was ist /das schon?
In der vorhergehenden Lyriktriologie Zwangers waren Israel und die Geschichte der Ausrottung der europaeischen Juden die vorherrschenden Themen, in "morgenlicht" erweitert er den Themenkreis auf viele Bereiche des menschlichen Lebens; Alter, Sterben und Trauer etwa, aber auch Liebe, Zeit und Politik.
Zwangers Lyrik atmet Theologie. Und doch ist sie weit entfernt von religioeser Gebrauchslyrik. Hier legt ein Dichterpfarrer seinen vierten Gedichtband vor. Jenes Zwitterwesen "Dichterpfarrer", von dem man glaubte, es habe in Kurt Marti seinen letzten ernstzunehmenden Vertreter gehabt, in der Gestalt Helmut Zwangers kehrt es ganz anders, neu und qualitaetvoll wieder.
"Buddha": Acht/Vorgezeichnete/Schritte//Schon drei/Wären genug:/Loslassen/Schweigen/Lieben. Diese Aufnahme der "Vier edlen Wahrheiten" des Gautama Buddha, die sich in acht Schritte gliedern, ihre Verkuerzung auf drei, deren letzter, nämlich Lieben, so im Buddhismus gar nicht vorkommt, ist eine Religionstheologie in nuce.Aehnlich wie Hesse am Schluss des Siddharta die indische Wahrheitssuche um das christliche Liebesideal ergaenzt, fügt Zwanger das Lieben als christliche Wahrheit hinzu.
Thomas Doerken-Kucharz

Unausgesprochenes/Glaenzend gefasst.
So beschreibt Helmut Zwanger in seinem
neuen Lyrikband "morgenlicht" eine Plastik
von Henry Moore. Was er über sie sagt, gilt von seinen Gedichten selbst. Mit hoher sprachlicher Praezision ist hier vieles Glaenzend gefasst, freilich nicht un-, sondern ausgesprochen, aber ausgesprochen behutsam. Wenige Worte bergen tief schuerfende Einsichten. Die Texte des 62-jaehrigen Pfarrers aus Tuebingen haben nichts Vollmundiges, sie sind leise, aber eindringlich. Zwanger arbeitet an der Sprache mit dem Mittel aeußerster Reduktion, die kein überfluessiges Wort zulaesst und den Leser fordert. Jedes Wort ist eine kostbare Frucht, zu lyrischen Stillleben arrangiert. Diese sind nicht beschaulich und nur selten gefaellig, aber kunstvoll und ueberraschend. Programmatisch klingt das zweite Gedicht seinen Bandes "Aufklaerung":Wenn du/Horizonte//Vom Himmel/Unterscheiden/kannst. Das ist in erster Hinsicht ein Naturgedicht.Wenn der Morgen graut,

Rezensionen Schwaebisches Tagblatt 03/2005


Israel wurde dem Schueler des Tuebinger Theologen Eberhard Juengel, der ueber Karl Barth promovierte, zu einem wichtigen Bezugsort. Seit er zwangzig war, schreibt Zwanger Lyrik. Im Gedicht war es ihm am besten moeglich, die vielschichtigen Empfindungen, die Begegnungen und Konfrontationen an biblischen Orten waehrend eines laengeren Israel-Aufenthalts 1994 in Sprache zu fassen. Jetzt verlangen allgemeine menschliche Grunderfahrungen, Werte, Krisen nach Ausdruck. Zwanger stellt sie als karge, jedoch sorgfältig ausgewogene Wort-Gebilde vor den Leser hin, jedes ein kleines Mahnmal gegen die Geschwaetzigkeit. Ein Asket der Sprache arbeitet hier permanent an der Reduktion, am knappst moeglichen Ausdruck. Das Weggelassene, nicht Gesagte ist jedoch kein Preis, kein Verlust, sondern erscheint als Gewinn an Intensitaet. Fuenf Worte, eine starke Metapher für "Trauerzeit": Gewaltige Welle / Die sich / Auslaeuft."
Als einen Bildhauer am Wort sieht er sich selbst. "Mir schwebt ein Stein vor, an dem man haut, um das Wort freizulegen." Freizulegen, um es neu betrachten zu koennen, um es zu rehabilitieren. Denn die Beschaeftigung mit der "faschistischen Sprachvergiftung" hat Zwanger allergisch gemacht gegen sprachliche Verschleierung und hohle sprachliche Ueberhoehung.
Zwangers Kunst der Kuerze versagt sich also auch den manchmal etwas autoritaeren Wahrheitsanspruch der Aphoristiker. Es ist oft etwas Irritierendes zwischen den wenigen, schmalen Zeilen, eine Brechung, ein Erstaunen, eine Ironie. Das Knappe ist nicht kompakt wie ein Patent - Zitat fuer diese oder jene Lebenslage, es strebt nach Weiterung im individuellen Erfahrungsraum, es setzt ein emotionales Wissen voraus. Und manchmal auch ein politisches. Etwa bei den drei Versuchen ueber "Kirchenasyl": "Durch Beton / Als ob es Eis / Nur Eis / Gewesen sei." Viele Monate lang beherbergte Zwangers Martinsgemeinde die kurdische Familie Gueler, der vom Staat kein Asyl gewaehrt wurde.
Der katholische Theologe Karl-Josef Kuschel, Zwanger in einer oekumenisch-literarischen Beziehung verbunden, spricht im Vorwort von "Gelassenheit" als einer Haltung hinter den Gedichten. Tatsaechlich reiben sich viele am Zeitbegriff, an den Unvereinbarkeiten von Uhrzeit, Jahreszeit, Lebenszeiten, von realer und gefuehlter Zeit. Wie der Wort-Bildhauer selbst wird aber auch der Betrachter der Wort-Skulpturen der Zeit ein wenig entrueckt. Das hat etwas wie Trost.
Ulrike Pfeil

In seinem neuen Lyrikband "morgenlicht" setzt der Tuebinger Pfarrer und Dichter Helmut Zwanger Mahnmale gegen die Geschwaetzigkeit.

Helmut Zwanger ist Pfarrer von Beruf. Ein professioneller Verkuender des Worts also, einer, der als Seelsorger Worte haben muss fuer jede menschliche Befindlichkeit. Aber dieser Pfarrer ist, wie Eduard Moerike, nebenbei auch Dichter. Und in seiner Lyrik offenbart Zwanger eine große Scheu gegenueber Worten, vielleicht ist es auch Ehrfurcht. Je weniger Worte sich in einer Zeile versammeln, desto groeßer wird die Tragweite des einzelnen Worts, desto freier kann es auch schwingen.
Der Tuebinger Verlag Kloepfer und Meyer hat den vierten Lyrikband des Martinskirchen-pfarrers herausgebracht. Der Titel "morgenlicht" verweist auf etwas Neues. Hoffnung, Sehnsucht, Aufbruch, Hellsichtigkeit nach dunkler Nacht. Tatsaechlich wendet sich Zwanger neuen Themen zu. Die letzten drei Baende (1994, 1998, 2000 erschienen) gehoerten zusammen, es war die "Israel-Triologie". Als Jugendlicher hatte der 1942 in Tuebingen Geborene die Aufklaerung ueber die Nazi-Verbrechen an Juden als einen "emotionalen Schock" erlebt. Scham und Entsetzen darueber, was Christen Juden angetan hatten, die Trauer ueber die tiefe Verstoerung zwischen Christen - und Judentum sind wesentliche Motive auch seiner religioesen Auseinandersetzung.

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