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Das besonders fuer Juden bis heute unerklaerliche Neben- und Miteinander
von humanistischer Genialitaet und moerderischer Bestialitaet in der deutschen
Geschichte schlaegt der Dichter auf die ihm eigene, fast plakative
Weise an: ANSCHRIFT // Goethe in Weimar / bei Buchenwald.
Dass Helmut Zwanger nicht allein die unvermischte Gedankenlyrik zur Koenigsform
erhebt, sondern ebenso einen immer dem Thema hinzugewogenen Bildreichtum
erfindet, dafuer stehen Zeilen wie diese: SCHIENEN // Laengst / ausgewechselt
// im Gleisbett / wacht die Trauer / bis ans Ende / der Welt.
Mit derartiger Unbedingtheit macht es sich ein Theologe in Deutschland,
in seiner Gemeinde und nachgerade in seiner Kirche nicht leicht. Zeigt
aber darin, dass nur so der ueberlieferten Schwere wenigstens ein Jota
an Gewicht genommen werden koennte: BIBEL - ZWEI TESTAMENTE // Daß
ich / in eurer Bibel / zu Hause bin / so gueltig / so ganz // das brauchte
/ das zweite Testament.
Gaebe es hierzulande mehr von diesem inneren christlich-juedischen Dialog
des Einzelnen in dieser Klarheit und Wahrhaftigkeit, das Gespraech wuerde
vielleicht, nach außen gefuehrt, Christen und Juden wirklich als
Gleichberechtigte nicht nur vor dem Einen Gott erkennbar werden lassen.
Das hoffend, kann der Leser nach der Lektuere dieser Gedichte besserer
Dinge sein: REFORMATION // Noch einmal / den Anfang / wagen // in heutiger
/ Zeit.
Matthias Hermann
Matthias Hermann, Bio- und Bibliographie
1958 in Bitterfeld (DDR) geboren und in
Ostberlin aufgewachsen. 1978 Berufsausbildung zum Schriftsetzer und Korrektor.
1978 Inhaftierung und Verurteilung zu 2 Jahren und 4 Monaten Strafvollzug
wegen politischer "Straftaten". Nach einem Jahr amnestiert.
1980 Uebersiedlung in die BRD. Seitdem Broterwerb als Korrektor bei einer
Tageszeitung. Ab 1989 im hessischen Odenwald lebend.
1989 - "72 Buchstaben", Gedichte,
Suhrkamp Verlag, Frankfurt
1989 - 1994 Veroeffentlichungen in div. Tageszeitungen und Literaturzeitschriften,
u.a. "Hessischer Literaturbote", "Frankfurter Allgemeine
Zeitung", "Drehpunkt" (Schweiz), "Panorama" (Israel),
"Die Palette"
1991 - in "Frankfurter Anthologie", Insel Verlag, Frankfurt,
Hersg. M. Reich-Ranicki
1992 - in "Dein aschenes Haar Sulamith", Dichtung über
den Holocaust, Piper Verlag, Muenchen, Hersg. Dieter Lamping
1992 - in "Juden in der deutschen Literatur", Piper Verlag,
Muenchen, Hersg. Hans Schuetz
1994 - in "Juedischer Almanach", Juedischer Verlag im Suhrkamp
Verlag, Frankfurt, Hersg. Jakob Hessing (Leo Baeck Institut, Jerusalem)
1989 - 1994 div. Lesungen im In- und Ausland (DDR, Oesterreich, Goethe-Institut
in Jerusalem)
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Helmut Zwanger
"Wort. Wo bist Du?".
Gedichte. Verlag Kloepfer & Meyer in Tuebingen. 132 Seiten, 28,-Mark.
CHRISTLICH-JUEDISCHER SELBSTDIALOG
Der 58-jaehrige Dichter und evangelische Theologe Helmut Zwanger hat
in seinem dritten Gedichtband zu einer ihm eigenen strengen Symbiose
von Form und Inhalt gefunden.
Dass mitunter aller guten Dinge tatsaechlich drei sind, erkennt der
gewissenhafte Leser an Zwangers Sprach- wie Gedankenweite auf engstem
Versraum:
HEIMATLIEDER // Am Brunnen vor dem Tore / verschwiegenes Auschwitz //
Im schoensten Wiesengrunde / Birkenau.
Guter Dinge indes kann man nach dieser Lektuere auf den ersten Blick
nicht sein. Schonungslos treffend ist Zwangers, wie von einer Steinschleuder
katapultierte Poetologie. Ihre Scharfkantigkeit erfaehrt sie aus dem
Antijudaismus, der Shoah und den stetig aktuellen Versuchen des Wegdrueckens
historisch-sittlichen Versagens: NICHTS // Nichts / gar nichts / haben
/ wir gewußt // lange schon / vor dem Nichts.
Zur scheinbar missverstaendlichen Walserrede und dem darauf folgenden
unmissverstaendlich entlarvenden Interview in der "Frankfurter
Allgemeinen Zeitung" dichtet Zwanger: SCHLUSSVARIANTE // Es muß
/ nicht alles gesuehnt / werden // verneinen / die im Grab / in den
Erden / verweinen / die im Grab / in den Lueften // warten und erwarten.
Bedenkt man darueber hinaus den gegenwaertig fast beliebigen Sprachgebrauch
im Alltag wie in mancher modern genannter Dichtung, die doch nur ein
mehr oder weniger virtuoses Jonglieren mit Wortblasen ist, so verweilen
diese Gedichte in sich selbst, als seien sie aus einer verlorenen Zeit,
da das Wort noch auf die letztmoegliche subjektive Genauigkeit hin abgewaegt
und wie in Stein gemeißelt wurde: WER EINEN MENSCHEN RETTET //
Ja / wer einen Toten / rettet // rettet / die ganze Welt.
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